Inhalt des Dokuments
Ziele des Fachgebiets
Unser Lehrziel am Fachgebiet
Entwerfen und Konstruieren - Massivbau ist es neben der klassischen
Lehre, die jedem Menschen eigene Kreativität nicht im Laufe eines
ausschließlich rational geprägten analytischen Studiums verkümmern
zu lassen, sondern vielmehr sein Potential voll zu entfalten. Dies ist
uns deshalb so wichtig, weil das Bauingenieurwesen wie kaum eine
andere Disziplin technisch-naturwissenschaftliches Wissen und
Kreativität miteinander verbindet. Diese Kombination ist es, die es
uns erlaubt Tragwerke zu entwerfen, die über das Nützliche und
Wirtschaftliche hinaus auch einen Beitrag zur Baukultur leisten. Und
diese ganzheitliche Qualität sollte das Ziel unserer Tätigkeit als
Ingenieure sein.
In der Praxis der Tragwerksplanung werden
ganz selbstverständlich beide Aspekte gefordert, jedoch ist die Lehre
an den Hochschulen oft auf die Vermittlung materialorientierter
theoretischer Grundlagen reduziert. Ansätze, die Entwurfskreativität
der Studierenden zu fördern, sind selten. Um diesen Mangel zu
beseitigen, lehren wir Entwerfen und Konstruieren, und zwar
werkstoffübergreifend und projektorientiert. Dafür unterteilen wir
den Prozess des Entwerfens und Konstruierens in 4 Arbeitsschritte:
Entwerfen, Modellieren, Bemessen und konstruktive Durchbildung. Diese
Schritte orientieren sich am alltäglichen Arbeitsablauf eines
Tragwerkplaners. Natürlich ist der Planungsprozess kein normierter
oder geradliniger Prozess, im Gegenteil, sein Charakter ist chaotisch
und komplex. Auf dem Weg zu einem tragfähigen, wirtschaftlichen und
formvollendeten Tragwerk müssen vielfältige Kompromisse geschlossen
werden. Die hier vorgestellten Arbeitsschritte sind daher als
Grundbausteine des Entwurfs- und Konstruktionsprozesses zu
verstehen.
Entwerfen: In diesem ersten und deshalb
besonders wichtigen Schritt werden das Konzept des Tragwerks und
signifikante Details festgelegt. Der Entwurf entsteht aus dem
örtlichen Kontext, der von topografisch-physikalischen,
technisch-konstruktiven oder politisch-kulturellen Gegebenheiten
bestimmt sein kann.
Modellieren: In dieser Phase wird das
Konzept in abstrakte Modelle umgesetzt. Es werden Modelle für die
statische oder dynamische Berechung, für die Festlegung der Lasten
sowie zur Bestimmung der Schnittkräfte und Verformungen gebildet.
Bemessen: In diesem Arbeitsschritt werden
Querschnittsabmessungen in Abhängigkeit von Art und Kombination der
gewählten Werkstoffe bestimmt.
Konstruktives Durchbilden:
Der letzte Schritt beinhaltet die endgültige Detaillierung aller
Verbindungen und Knoten des Tragwerks sowie das Zeichnen der
Pläne.
Mit diesem Konzept ergänzen wir das traditionelle
akademische Curriculum. Die Bereiche Modellieren und Bemessen sind in
der klassischen Ausbildung vorhanden, doch werden sie dort oft
isoliert betrachtet. Unser Anliegen ist es, diese Isolation aufzuheben
und die Lehre um die Bereiche Entwerfen und konstruktive Durchbildung
zu ergänzen.
Nun stellt sich natürlich die Frage zu
welchem Zeitpunkt im Studium insbesondere diese „neuen“ Elemente
in die Lehre einfließen sollen. Das Entwerfen eines Tragwerks stellt
den ersten Planungsschritt dar. Und entsprechend sollte dieser
konzeptionelle und schöpferische Prozess natürlich am Beginn des
Studiums stehen. Allerdings benötigt der gesamte Prozess des
Entwerfens und Konstruierens im Bauingenieurwesen profundes Wissen der
sogenannten „Basics“, also unter anderem der Mathematik, der
Mechanik, der Statik, der Bauphysik, der Bauinformatik und der
Werkstoffe. Beispielsweise können ohne das Verständnis des
mechanischen Verhaltens des gerissenen Betons oder Kriech- und
Schwindeffekte keine integralen Brücken konzipiert werden. Genauso
wie der Entwurf selber immer ein Kompromiss zwischen sich zum Teil
ausschließenden Anforderungen bezüglich Sicherheit,
Gebrauchstauglichkeit, Dauerhaftigkeit, Ästhetik und
Wirtschaftlichkeit ist, müssen wir auch in der Lehre einen Kompromiss
suchen. Die Herausforderung besteht darin, sowohl die theoretischen
Grundlagen als auch das Entwerfen und Konstruieren parallel zu lehren.
Bereits zu Beginn des Studiums werden die Studierenden gleichzeitig
mit der Vermittlung der Grundlagen an das Entwerfen und Konstruieren
herangeführt. Zudem werden in den ersten Jahren mehr Grundlagen als
Entwerfen vermittelt, dafür aber verschiebt sich in den höheren
Semestern der Schwerpunkt in Richtung projektorientiertes Entwerfen
von Tragwerken.
Eine erfolgreiche Umsetzung der Lehre des
Entwerfens und Konstruierens setzt voraus, dass wir von der
traditionellen werkstofforientierten Lehre der konstruktiven Fächer
im Bauingenieurstudium Abstand nehmen. Aus historischen Gründen sind
an den meisten Universitäten Lehrstühle für Massiv- Stahl und
Holzbau entstanden. Allerdings zeigt schon die Vielzahl neuer
Werkstoffe und Werkstoffkombinationen, die heute im Bauwesen verwendet
werden, dass dies nicht mehr zeitgemäß ist. Aber es gilt, dass heute
moderne Entwicklungen stärker in die Lehre und natürlich auch in die
Forschung eingehen sollten. Und folglich sollte auch das akademische
Curriculum dem neuesten Stand der Technik entsprechen und nicht den
Status quo der 1970er Jahre zelebrieren. Zudem gilt, dass ein Bauherr
in der Regel weder eine Betonhohlkastenbrücke noch ein
Stahlskeletthochhaus „bestellt“. Er möchte eine gute Brücke oder
ein gutes Hochhaus haben. Nur ein guter Entwurf und die Fähigkeit,
werkstoffübergreifend das passende Material bzw. eine
werkstoffgerechte Materialkombination zu wählen, führen zu
ganzheitlicher Qualität und damit zum guten Tragwerk.
Folglich erscheint es nahezu unumgänglich für die konsequente
Umsetzung der Lehre des Entwerfens und Konstruierens zusätzlich die
werkstoffübergreifende Lehre zu propagieren, die Jörg Schlaich und
Kurt Schaefer an der Universität Stuttgart erstmalig eingeführt
haben. Wir haben diese übernommen und konsequent auf alle
konstruktiven Fächer umgesetzt. Das bedeutet, dass wir im
Masterstudium anstelle der traditionellen Stahl-, Massivbau- und
Holzvorlesungen die Lehre nach Tragwerkstypen einführen, also,
Brückenbau, Hochbau und Flächentragwerke lehren – dies führt dann
ganz automatisch zu einer stärkeren Berücksichtigung des Bereichs
Konstruieren.
Von fundamentaler Bedeutung ist auch das
Wissen um die Geschichte der Ingenieurbaukunst. Auf die Frage nach
ihren Lieblingsingenieuren und Lieblingsingenieurbauten können viele
Erstsemester des Bauingenieurwesens keine Antwort geben. Allenfalls
können sie Stararchitekten und deren „Landmarken“ nennen. Es ist
kaum zu glauben, dass selbst nach mehreren Semestern an der
Universität große Namen wie Röbling, Telford, Eiffel, Maillart,
Suchov, Torroja oder Leonhardt bei vielen Studierenden keinerlei
Reaktion hervorrufen. Gibt es Musikstudenten, die noch nie den Namen
Bach gehört haben?
Diese Ideen haben Eingang gefunden in
den neuen Bachelor- und Masterstudiengang gefunden. Neben der
werkstoffübergreifenen Lehre des Konstruktiven Ingenieurbaus im
Bachelorstudium und der Masterfächer „Brückenbau, Hochbau und
Flächentragwerke wurden gezielt in einigen Fächern die
gestalterische Kompetenz gestärkt. Zu diesen Fächern gehören
Grundlagen der Tragwerkslehre, Grundlagen des Entwerfens und
Konstruierens, Grundprojekt, Entwurfsseminare und Wettbewerbe sowie
Spaziergänge und Exkursionen.
Im ersten Semester des
Bachelorstudiengangs gibt die Vorlesung „Grundlagen der
Tragwerkslehre“ eine gestalterische und konstruktive Einführung in
das Bauingenieurwesen. Neben den einfachsten konstruktiven Prinzipien
wie Balken, Bogen und hängendes Seil sowie die Stütze geben wir den
Studierenden einen Überblick über den ganzheitlichen Kontext, in den
wir unsere Arbeit und unsere Bauwerke stellen müssen, um adäquate
konstruktive Antworten für gesellschaftlichen Bauaufgaben erstellen
zu können. Dafür vermitteln wir einen Überblick über die
geschichtliche Entwicklung der Ingenieurbaukunst. Interessant ist
auch, dass in diesem Fach die Entwicklung von Konstruktion, Materialen
und Berechnungsmethoden in einen direkten Zusammenhang gestellt
werden. Didaktisch werden diese Lehrinhalte in Hausarbeiten,
Projektarbeiten und Ausstellungen umgesetzt. Dies bringt die
Studierenden über die fachliche Auseinandersetzung hinaus zu
Gruppenarbeit, selbständigen Arbeiten sowie der selbständigen
Formulierung des konstruktiven Sachverhalts.
Im dritten
Bachelor-Semester lehren die Studierenden in den Grundlagen des
Entwerfen und Konstruierens (Prof. Schmid) erste eigene Projekte zu
realisieren und konstruktive Fragestellung in ein Konzept umzusetzen.
Dabei kommen die ersten einfachen Konstruktionsregeln zur Anwendung.
Die gesammelten Erfahrungen werden im fünften
Bachelor-Semester im Grundprojekt gebündelt. Hier wird eine
einfachste Entwurfsaufgabe durchgängig geplant, größter Schwerpunkt
liegt hierbei auf den Internaktionen in Rahmen eines gesamtheitlichen
Planungsprozesses. Alle Arbeitsschritte des Entwerfens und
Konstruierens werden hier berücksichtigt: Entwerfen, Modellierung,
Bemessung und die konstruktive Durchbildung.
Sind die
vielfältigen ingenieurstypischen konstruktiven wie die
entwerferischen Grundlagen gelegt, dann finden im Master-Studium die
Entwurfsseminare (Professoren Geißler, Schlaich und Schmid) statt.
Methodisch wir damit das klassisches Element der Gestaltungslehre der
Architekten aufgegriffen und ebenso sollte hier teilweise die
Zusammenarbeit mit Studierenden der Architektur an realistischen
Projekten erprobt werden. Allerdings muss hier angemerkt werden, dass
es für Ingenieurstudierende immens wichtig ist, selbst die positive
Kraft und das Potentials eines chaotischen Entwurfsprosses zu erfahren
und sich eben diesen nicht von den meist flinkeren und eloquenteren
Architekturstudierenden abnehmen zu lassen. Deshalb ist hinsichtlich
einer zukünftigen guten Zusammenarbeit mit Architekten ein eigenes
Entwurfsseminar von Ingenieuren nur für Ingenieurstudierenden ebenso
unverzichtbar wie fachübergreifende interdisziplinäre Projektarbeit.
Begleitend in allen Semestern werden die Studierenden zum
Sehen, Wahrnehmen, Analysieren und Diskutieren aufgefordert. Dies
schulen und fordern wir auf unseren mehrtägigen Exkursionen und
regelmäßigen Stadtspaziergängen. Wir ermuntern unseres Studierenden
in Gesprächen mit anderen Ingenieuren, in Diskussionen mit uns und
ihren Kommilitonen und nicht zuletzt in der kritischen Analyse
konstruktiver Details zu ihrer eigenen Meinung zu kommen.
Die hier vorgestellten methodischen Elemente haben nur das eine
Ziel, das kreative Potential der Ingenieurstudierenden von Beginn des
Studiums an zu fördern und nicht durch ausschließlich analytisch
ausgerichtete Fächer verkümmern zu lassen. Im Einzelnen sind noch
vielfältige Optimierungen möglich, sicher sind auch noch andere
Methoden vielversprechend, und letztendlich erfahren wir durch die
Rückkopplung der Praxis wie erfolgreich dieses Konzept ist. Aber
schon jetzt zeigt sich am Zuspruch der Studierenden, in Evaluationen
und an den Studierendenzahlen, dass wir hier an der TU Berlin einen
viel versprechenden Weg gehen.
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